Luthers Ringen um sein Seelenheil in Augustinerkloster
Am Vorabend der Heiligen Alexius, also am 16. Juli 1505 lädt Luther in Erfurt seine engsten Freunde zu einer kleinen Feier ein. Unvermittelt eröffnete er ihnen, er werde am nächsten Tag ins Schwarze Kloster der Augustinereremiten eintreten. Er bittet sie, ihn dorthin zu begleiten. An der Klosterpforte nahm er am 17. Juli Abschied: „Heute seht ihr mich und nimmermehr“ (WA Tr 4, 4707). Die Entscheidung war für Luther unumstößlich: „Niemals habe ich daran gedacht, das Kloster zu verlassen. Ich war der Welt rein abgestorben.“ Mit Sinn für Symbolik hatte er wohl bewusst den Namenstag von St. Alexius für den Klostereintritt gewählt. Der Legende nach war der Heilige von den Eltern zur Ehe bestimmt, doch am Hochzeitstag verließ er die Braut und floh nach Edessa. Luther entzog sich dem Eltern willen durch Flucht ins Kloster. (Scholz, Luther, 30).
Warum trat er ausgerechnet ins Augustiner Kloster, obwohl Franziskus sowie Franziskanerorden für ihn sogar als leuchtendes Vorbild gewesen war. Wie im obigen Blogbeitrag dargestellt vertiefte sich eigentlich der Eindruck von einem franziskanischen Bettelorden, den Luther in Magdeburg erfuhr, in Eisenach noch intensiver. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrung mit den Franziskanerorden ist die Frage noch brennender. Warum trat er dann ins Augustiner Eremiten? Er hätte auch Franziskaner, Dominikaner oder Karthäuser werden können. All diese Orden waren in Erfurt zu finden. Die Auswahl an kirchlichen Einrichtungen in der Stadt war groß: Es gab vier geistliche Stiftungen, 21 Pfarrkirchen und elf Klöster in Erfurt, das deshalb auch als erfurt turrita (= turmreiches Erfurt) bezeichnet wird.
Die Gelehrten geben hierzu verschiedene Ansichten: Nach Park hat das wohl mit der Ordenstheologie zu tun (Park, Franziskaner, 51). Im Barfüßerkloster in Erfurt herrschte vor der Reformation im Gegensatz zum Ockhamismus eine philosophische Lehre der sog. Via antiqua, die davon ausging, dass die in der Allgemeinbegriffe (wie Mensch, Tier oder Ähnliches) angedrückte Allgemeinheiten tatsächlich in irgendeiner Weise auch in der Realität existierten. Also schaltete Franziskanerkloster in Erfurt die philosophische Lehre der sog. Via moderna vom Wilhelm von Ockam ganz aus und stattdessen vertrat nur die Lehre der Via antiqua, dessen berühmter Vertreter ihr Ordensbruder Duns Scotus war.
Nicht nur das, sondern auch die Franziskanerobservanten nahmen eine größere Distanz zu den Wissenschaften ein, während für die Augustiner-Eremiten das Studium, insbesondere der Bibel, von großer Bedeutung war. Wäre er ins Franziskanerkloster gegangen, hätte er diese ockhamistische Lehre, die für die spätere reformatorischen Entdeckung von entscheidender Bedeutung ist, nicht gelernt.
Wie in der Forschung gut bekannt ist, ist Luther von Ockham entscheidend geprägt worden. Deshalb zögerte er nicht, sich selbst häufig als Ockhamist zu bezeichnen. Zum Beispiel sagt er 1520 in der Antwort auf die Verurteilung durch die Universitäten Löwen und Köln: Dass er in Widerspruch zu einer Sekte, nämlich der ockhamistischen oder der der Modernen stehe. Gleichzeitig gibt er zu, dass er sie zutiefst in sich hineingesaugt habe. In der Schrift gegen die Bulle Exsurge Domine Leos X. von Ende Oktober 1520 äußerte er folgendermaßen:
"ich bin von der Partei der Ockhamisten, die den respectus verachten und alles als für sich bestehend annehmen.
In einem anderen Tischreden sagt Luther über Ockham: „Selbst Ockham, der an Geist und Scharfsinn alle überragt und alle Schulen widerlegt hat, hat das ausdrücklich gesagt und geschrieben. Ockham, mein lieber Meister, war der größte Dialektiker. Mein Meister Ockham, der von uns als der vorzüglichste von allen Lehrern geachtet wurde, leugnet, es stehe in der Heiligen Schrift, dass zur Erfüllung eines guten Werkes der Heilige Geist nötig sei. Und mein Meister Ockham schreibt, es sei nirgends in der Heiligen Schrift ein Beleg zu finden, dass eine besondere Gnade oder Gabe zur Erfüllung der Gebote Gottes nötig sei.“
Da Luther während seiner Studienzeit mit der Lehre der Ockham vertraut war, entschied er sich doch in das Augustiner-Eremiten einzutreten, obwohl er gewissermaßen eine geistige Heimat bei dem Franziskanerorden gefunden hat. Laut Leppin hat das wohl mit der Beliebtheit und Anerkennung des Augustinerklosters in Erfurt als der Weg in die Einöde zu tun (Leppin, Luther, 35), denn Luther betont später im Rückblick auf folgendes:
„Consule enim recentium Theologorum libros, et videbis, 'servire Deo' eis nihil esse aliud quam fugere in eremum, deserere politica aut oeconomica officia et sese abdere in monasterium“ (WA 40/II, 282, 34-36).
[Denn schauen Sie sich die Bücher neuerer Theologen an, und Sie werden sehen, dass „Gott dienen“ für sie nichts anderes bedeutet, als in die Wüste zu fliehen, politische oder wirtschaftliche Pflichten aufzugeben und sich in ein Kloster zurückzuziehen].
Die Augustiner-Eremiten war als ein Orden bekannt, ihre Regeln sehr ernst zu nehmen. Und vielleicht ist es gerade das Schonungslose und Konsequente, das den jungen Martin angesprochen haben soll.
Ludscheidt vertritt die Ansicht, dass bei dem Weg ins Augustinerkloster Luthers Vertrautheit mit der zeitgesnössischen humanistischen Bewegung während seines Studiums in Erfurt eine entscheidende Rolle gespielt haben soll, denn Augustinerkloster hatte mit dieser humanistischen Bewegung einen engen Kontakt, aus deren Bewegung später sowohl Luthers enge Mitarbeiter für die Reformation und als auch Reformator herauskam. Es hat in den ausgustinischen Orden und Klöstern viele Humanisten gegeben, so Ludscheidt.
Mutianus Rufus in Gotha, ein Kanoniker und Stiftsgeistlicher beispielsweise, der das Haupt des Erfurter Humanistenkreises ist. Dieser Mutianus Rufus korrespondierte mit Geistesgrößen seiner Zeit wie Erasmus von Rotterdam. Zu dessen Umfeld gehörten auch der junge Dichter Ulrich von Hutten, der zunächst in Erfurt und dann auch in Wittenberg studierte, oder Georg Spalatin, später ein enger Vertrauter Kurfürst Friedrichs des Weisen und Martin Luthers in Wittenberg. Auch der schon ältere Philosoph und Hebraist Johannes Reuchlin stand dem Humanistenkreis um Rufus sehr nahe, zu dem der junge Luther aufblicken konnte. Und Johannes Lang, der spätere Reformator von Erfurt, der mit Luther immer engen Kontakt hatte, Verbindungen in die Humanistenkreise in Erfurt.
Er ist damit der Ansicht, dass der Weg ins Augustinerkloster für ihn von Gott vorgesehen war. Gott bereitete wohl Luther damit vor, dass er in diesem Kloster sich mit der philosophischen Lehre der Via moderna und der Bibel intensiv beschäftigen konnte. Und Gott stellte ihm somit auch auf seinem Weg treue Helfer zur Seite, die ihm später für die Reformation entscheidend halfen, so Ludscheidt.
Zunächst lernte Luther als Gast im Klosterhospiz das strenge Leben der Augustinereremiten kennen. Demut wurde verlangt. Schon vor zwei Uhr morgens begannen die Stundengebete, es herrschte striktes Redeverbot, und die Mönche lebten in engen Einzelzellen. Auch kleinste Verfehlungen, wie Zuspätkommen zum Chorgebet, wurden bei der wöchentlichen Generalbeichte geahndet, etwa mit Ausschluss aus der Tischgemeinschaft. Im September 1505 wurde Luther Novize, Mönch auf Probe. Er erhielt die Tonsur und das Gewand des Novizen. (Scholz, Luther, 31).
Es geht um Demut und Verzicht im Klosterleben. Verzicht auf Komfort, Essen, Privatsphäre, Selbstbestimmung. Die Haare werden abgeschnitten, der Gang hat geduckt zu sein, mit den Augen auf den Boden gerichtet. Sprechverbot, sparsames Essen und monatelanges Fasten. Reinigungsarbeiten in der Kirche und den Abtritten. Sieben Mal am Tag wird gebetet. Dazwischen Arbeit und wenig Schlaf. Die Augustiner-Eremiten nehmen ihre Regeln sehr ernst. Und vielleicht ist es gerade das Schonungslose und Konsequente, das den jungen Martin anspricht. Wenn schon, dann richtig! So kniet er sich hinein, absolviert sein Noviziat und legt 1506 das Mönchsgelübde ab. (Lutherland, Augustinerkloster)
Während der Zeremonie liegt er vor dem Altar, die Arme ausgebreitet, das Gesicht auf dem Boden. Im Boden vor dem Hochaltar befindet sich die Grabplatte eines der bedeutenden Mitgliedes des Ordens, des Theologieprofessors und Priors des Augustinerklosters, Johannes Zachariae, der 1428 verstarb. Auf dem Kopf trägt er ein Doktorbarett, an dem noch eine Rose erkennbar ist. Diese geweihte Rose erhielt er vom Papst als einziger Teilnehmer des Konstanzer Konzils von 1415. Auf diesem Konzil wurde der böhmische Theologe Jan Hus der Ketzerei bezichtigt. Jan Hus hatte u.a. den Ablasshandel als Irrglauben kritisiert und die Bibel ins Zentrum des Glaubens gestellt. Da er sich weigerte zu widerrufen, wurde gegen ihn verhandelt. Zachariae wirkte in diesem Verfahren führend mit und trug durch seine Disputation entscheidend zur Verurteilung des böhmischen Reformators bei. Hus wurde als Ketzer verbrannt und Zachariae ging als Hussomatix („Husüberwinder“) in die Kirchengeschichte ein.
Johannes Zachariä lehrte seit 1400 einer der wirkmächtigsten Theologen seiner Zeit an der noch jungen Erfurter Universität. Als deren Vertreter auf dem Konstanzer Konzil trat der Dominikanereremit als ausgezeichneter Disputant hervor. Ein Auftrag von Kaiser Sigismund trug ihm den Namen »Hussomatrix« ein: Er sollte den böhmischen Reformator Jan Hus (1369–1415) der ketzerischen Irrlehre überführen. Die Grabtafel Zachariäs befindet sich vor dem Hochaltar der Augustinerkirche. So ist es eine Ironie der Geschichte, dass Martin Luther stundenlang diese Platte vor Augen hatte, wenn man ihm das Gelübde abnahm. Ob auch der Flammentod von Hus auf das Betreiben des Erfurter Theologen zurückgeht, muss allerdings offen bleiben. Martin Luther soll dem Theologen später eine Mitschuld am Tode von Huss zugewiesen haben.
Dass Luther selber schon bald auf den Spuren von Hus wandeln würde, daran hatte Luther bei der Mönchgelübde sicher nicht gedacht. Luther wird später ähnlich „ketzerische“ Ideen wie Hus propagieren. War es ein Zufall oder Ironie des Schicksals? Oder ein Zeichen? Nein es war Gottes vorherbestimmte Plan. In einem Tischreden sprach Luther folgendermaßen:
“Postea poenituit me voti, et multi mihi dissuaserunt… Ich war der welt reine abgestorben, bis das es Gott Zeit dauchte und mich junker Tetzel trieb et Doctor Staupitius me incitabat contra papam“ (WA Tr 4, 4707).
[Danach bereute ich mein Gelübde und viele rieten mir davon ab … Ich hatte mich vollständig von der Welt losgesagt, bis Gott es für angebracht hielt und mich durch Junker Tetzel dazu trieb und Doktor Staupitius (Johann von Staupitz) mich gegen den Papst aufhetzte].
Völlig Abgeschnitten von der Welt muss Luther gemäß Vorhaben Gottes im Kloster bleiben, bis Gott wieder entschied, dass es Zeit war, dies zu ändern.
"Mehr als eine Woche lang war ich den Toren der Hölle und des Todes nahe. Ich zitterte an allen Gliedern. Christus war mir verloren. Ich war hin- und her geschüttelt von Verzweiflung und Gotteslästerung."
So beschrieb Luther seine Anfechtungen und seinen Zweifel an seine Erwählung oder anders ausgedrückt über seinen Glauben, sein Denken und seine Beziehung zu Gott. Im Kloster übte Luther die Ordensregeln mit vorbildlicher Strenge aus, litt jedoch unter großen Gewissensqualen, wie er in seiner Vorrede zum ersten Bande der Gesamtausgaben seiner lateinischen Schriften sagte:
„Ich fühlte mich, obwohl ich als Mönch ein untadeliges Leben führte, vor Gott als Sünder mit einem ganz ruhelosen Gewissen und nicht darauf vertrauen, Gott durch meine Genugtuung versöhnt zu haben.“ (WA 54, 185, 14).
Manchmal sechs Stunde lang beichte Luther. Morgens um 3 Uhr machte er am Tag fünf Mal das sog. Stundengebet mit Psalmensingen. Er war von Fasten, Wachen und Kasteiung zum Gerippe völlig abgemagert, dennoch fühlte er sich keinen Frieden. Später urteilt Luther über sein Leben hinter Klostermauern:
"Ist je ein Mensch in den Himmel gekommen durch Möncherei, so wollte ich auch hingekommen sein." (Zit. Krämer, Ein Mönch).
Er suchte nach einer Antwort auf die Frage, wie er einen gnädigen Gott bekommen könnte, oder um mit Lohse zu sprechen, in der bangen Frage, wie er im Jüngsten Gericht vor Gott bestehen könne“ (Lohse, Luthers Theologie, 46).
Er fand aber keine Antwort darauf. Warum? Wieso stürzte Luther trotz seiner aufrichtigen Reue und Ringen mit Gott schließlich in eine verzweifelte Heilsungewissheit? Es war wegen der „falschen Theologie“ seiner Zeit, die spätmittelalterliche, leistungsorientierte Frömmigkeit, durch dessen Irrlehre mit seiner Werkgerechtigkeit die Zeitgenossen beim Ringen um ihr Seelenheil zur Gedanke der Verwerfung durch Gott automatisch geführt werden musste. Wie Oberman zutreffend gesagt hat, bedeutete damals der Begriff Bekehrung schon „Abwendung der Welt und asketische Zuwendung zu Gott“ (Oberman, Luther, 135).
„Also ist es eine schädliche Sache, dass man unter dem Papst die Leute gelehrt hat, vor Christus zu fliehen. Ich hörte nicht gern, dass man ihn nannte, weil man mich so unterwiesen hatte dass ich Genugtun für meine Sünde leisten müsse und dass Christus am Jüngsten Tage sagen werde: Wie hast du die zehn Gebote gehalten? Wie deinen Stand? Wenn ich ihn gemalt sah, erschrak ich vor ihm (Christus Jesus) wie vor dem Teufel, weil ich sein Gericht nicht ertragen konnte.“ (Brecht, Luther 1, 75).
So war es in der ganzen Mönchstradition des Mittelalters. Bekehrung bedeutete, „Abtötung des eigenen Willens, dürfte Mahlzeiten, große Kleidung, Arbeiten am Tage, Wachen in der Nacht, Züchtigung des Fleisches, Selbsterniedrigung durch Betteln, hartes Fasten und langweiliges Klosterleben“ (Oberman. Luther, 135). Im Mönchsleben sieht er die Chance, die von Gott geforderte Vollkommenheit des Lebens zu verwirklichen und sich auf diese Weise seine Gnade zu verdienen. Triebfeder seines Entschlusses ist also auch die Suche nach einem gnädigen Gott oder anders gesagt, die Angst, das in der christlichen Lehre verheißene Ewige Leben nach dem irdischen Tod zu verpassen.
Luther litt mit anderen Worten wegen des Prädestinationsproblem. Er zweifelte daran, ob er überhaupt von Gott auserwählt war. Im Jahr 1518 berichtete Luther in einem seinen dichtetesten Selbstzeugnisse von derartigen, offenbar noch nicht allzulange zurückliegenden Erfahrungen, wobei er in bewussten Kontrast zur Paradieserfahrung des Paulus 2 Kor 12, 3 stilisierte:
„Ich kenne einen Menschen, der von sich behauptet hat, häufiger solche Strafen erlitten zu haben, freilich nur einen ganz kurzen Zeitabschnitt lang. Aber sie waren so groß und so höllisch, wie keine Zunge es sagen und keine Feder und kein Unerfahrene glauben kann, so dass, wenn sie nur eine halbe Stunde oder den zehnten Teil einer Stunde gedauert hätten, er völlig zugrunde gegangen und all seine Gebeine zu Asche geworden wären. Hier erscheint Gott schrecklich erzürnt und mit ihm gleichermaßen die ganze Kreatur. Da gibt es keine Flucht, keinen Trost, weder innen noch außen, sondern alles klagt an … Es ist wunderlich zu sagen, dass in einem solchen Augenblick die Seele nicht glauben kann, dass sie je gerettet werden könne.“ (Zit. Metaxas, Luther, 40).
Das war die höchste innere Gefährdung, die Luther durchmachte. Und diese sog. Prädestinationsanfechtung war bereits in der frommen Umwelt des Klosters vorgegeben wie Brecht zutreffend bemerkt hat. Im Grund handelt es sich in den Anfechtungen der Gottverlassenheit um das Problem der Erwählung oder Verwerfung durch Gott. Es hat mit dem Vaterkomplex oder der krankhaften seelischen Zustände Luthers nichts zu tun. Luther dachte oder fühlte sich, dass er bereits vor der Grundlegung der Welt von Gott verworfen wurde, so dass er nie mehr einen gnädigen Gott kriegen kann. Und dieser Zweifel an die Verwerfung durch Gott, war verursacht worden durch zeitgenössische Werkgerechtigkeitstheologie, dass man mit eigener religiösen Leistungen Gott genug gefallen und Gottes Anerkennung dadurch schaffen müsse. Luthers Zweifel und innere Anfechtungen, ob er von Gott auserwählt worden oder verworfen ist, war somit bereits vorprogrammiert.
War es ein Zufall, dass Luther unter Prädestinationsanfechtung so sehr litt? Nein Es war die Vorsehung Gottes. Von Luther hört man die Antwort darauf nicht, aber von Luthers Beichtvater Johann von Staupitz (ca. 1468-1524) gibt es doch eine zutreffende Antwort, der zu Luther nicht nur gesagt hat, dass solche Versuchungen notwendig und nützlich seien, sondern vor allem auch sogar prophezeit hat, dass Gott Luther wohl deswegen derartigen Versuchungen aussetze, weil er noch Größeres mit ihm vorhabe.
„Ich führte einmal bei meinem Staupitz klage über die Erhabenheit der Prädestination. Er antwortet mir: In den Wunden Christi versteht und findet man die Prädestination, nirgendwo anders, denn es ist geschrieben: „Diesen hört!“ (WA Tr 2, Nr. 1490)
So tröstete Staupitz den Angefochtenen Luthers. Somit war Luthers Trost in Wirklichkeit der Rat von Staupitz an Luther, wenn er in Anfechtungen geriet, insbesondere in Bezug auf die Prädestinationsanfechtung und den damit verbundenen Zweifel an der Erwählung. Also Staupitz hat Luthers Ringen um sein Heil bzw. Klostererfahrung einen Sinn gegeben, so dass Luther später in der Lage sein konnte, anderen, die unter solche seelischen Qualen leiden, auch so zu ermutigen und zu trösten und Sinn zu geben.
„Dass er vom Teufel mit Melancholie angefochten werde, sei ein Beweis dafür, dass er an Christus glaube und dass Gott ihm gnädig sei. Er solle sich nicht mit dem Teufel nicht in Auseinandersetzungen einlasse, sondern ihn verachten, die Einsamkeit fliehen und lieber mal kräftig übern Strang schlagen.“ (WA B 5, 518, Nr. 1670).
So schrieb Luther im Juli 1530 an Hieronymus Weller, der unter Anfechtungen durch Teufel unter Melancholie bzw. Depression litt, einen tröstenden und Sinngebenden Brief, in dem er seine Traurigkeit als Anfechtung durch den Teufel auf diese Weise deutete. Luther konnte Weller seelsorgerlich ermutigen und trösten, eben weil er selbst erfahren hat. So hinterließ Luther viele tröstende Zitate in diesem Zusammenhang. Hier ein paar Beispiel:
„Anfechtung ist die notwendige Kehrseite des Glaubens. Wer nicht angefochten wird, kann auch nicht glauben.“
„Anfechtungen sind Umarmungen Gottes.“
„Das Leben eines Christen besteht aus persönlichen Fürwörtern. Es ist eine Sache zu sagen: "Christus ist ein Retter" aber ganz eine andere zu sagen: "Er ist mein Retter". Der Teufel kann das Erste sagen, nur ein wahrer Christ das Zweite!“
„Dass Jesus Christus am Kreuz für die Sünde verblutet ist, das wissen auch die Teufel und zittern! Dass er aber für meine Sünde verblutet ist, damit beginnt der Glaube.“
„Nach dem Zeugnis und der Erfahrung aller Frommen ist die größte Anfechtung, keine Anfechtung haben.“
Subsumierend lässt sich sagen: Seine Prädestinationsanfechtung war Gottes vorherbestimmter Plan zur Erziehung Luthers wie bei Mose in der Wüste der Fall war. Gott erzog Mose in der Wüste so hart, bis er schließlich bekennen konnte, dass er nicht mehr kann und damit er allein auf Gott vertrauen lässt. Gott erzieht Menschen, den er auserwählt hat, und ließ immer durch dunklen Tunnel zunächst vorbeischreiten, bevor und wenn er sie für sein Heilsplan gebrauchen will.
Luthers Depression bzw. Melancholie war in gewisser Hinsicht ähnlich wie Jakobs Hinken (1 Mo 32, 24-32) als ein gesegnetes Stigma zu bezeichnen. Auch wenn Jakob lahm war, weil sein Hüftgelenk bei seinem Ringen mit Gott verrenkt wurde, fand er aber wahren Frieden und Ruhe. Es ist ein Symbol dafür, dass man seine menschliche Kraft aufgibt und sich allein auf Gott verlässt. Luther litt aufgrund seines Kampfes mit der Prädestination an Depressionen und gab seine Kraft auf, um sich selbst zu unterstützen, und wurde ein wahres Kind Gottes und ein wahrer Christ, indem er sich nur auf Gott verließ. Seine Depression ist wie die Spur von Jakobs Hüftknochen. Wir sollten uns selbst untersuchen, um zu sehen, ob wir die Spuren des Ringfingers haben. Sowohl Jakob als auch der Apostel Paulus hatten ein solches Zeichen. Nur diejenigen, die ein solches Zeichen haben, können wahres Israel und Volk Gottes genannt werden.
Luthers Ringen um sein Seelenheil im Augustinerkloster in Bildern
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